Lyrikerstrassen

Adelbert von Chamisso
Der Schatz

Fernher aus geheimem Schreine
Winkt ein Schatz so wunderbar;
Weiß allein nur, wen er meine,
Und den Ort, wo er bewahrt.
Und wir streben, und wir meinen,
Streben, meinen immerdar,
Schweifen durch des Lebens Weite
Und verachten die Gefahr;
Wir begehren nur das Eine,
Wir begehren immerdar;
Immerdar auch will's erscheinen,
Ach, verschwinden immerdar.
Doppelheimweh

Zwiefaches Heimweh hält das Herz befangen,
Wenn wir am Rand des steilen Abgrunds stehn
Und in die Grabesnacht hinuntersehn,
Mit trüben Augen, todeshohlen Wangen.
Das Erdenheimweh läßt uns trauern, bangen,
Daß Lust und Leid der Erde muß vergehn;
Das Himmelsheimweh fühlts herüberwehn
Wie Morgenluft, daß wir uns fortverlangen.
Nikolaus Lenau
Dies Doppelheimweh tönt im Lied der Schwäne,
Zusammenfließt in unsre letzte Träne
Ein leichtes Meiden und ein schweres Scheiden.

Vielleicht ist unser unerforschtes Ich
Vor scharfen Augen nur ein dunkler Strich,
In dem sich wunderbar zwei Welten schneiden.
Franz Grillparzer
In der Fremde

Schon bin ich müd zu reisen,
Wär's doch damit am Rand,
Vor Hören und vor Sehen
Vergeht mir der Verstand.
So willst Du denn nach Hause?
O nein! Nur nicht nach Haus!
Dort stirbt des Lebens Leben
Im Einerlei mir aus.
Wo also willst Du weilen?
Wo findest Du die Statt?
O Mensch, der nur zwei Fremden
Und keine Heimat hat.
Reisen

Reisen soll ich, Freunde! reisen,
Lüften soll ich mir die Brust?
Aus des Tagwerks engen Gleisen
Lockt ihr mich zu Wanderlust?
Und doch hab ich tiefer eben
In die Heimat mich versenkt,
Fühle mich, ihr hingegeben,
Freier, reicher, als ihr denkt.
Nie erschöpf ich diese Wege,
Nie ergründ ich dieses Tal,
Und die altbetretnen Stege
Rühren neu mich jedesmal;
Öfters, wenn ich selbst mir sage,
Wie der Pfad doch einsam sei,
Streifen hier am lichten Tage
Teure Schatten mir vorbei.
Ludwig Uhland
Wann die Sonne fährt von hinnen,
Kennt mein Herz noch keine Ruh,
Eilt mit ihr von Bergeszinnen
Fabelhaften Inseln zu;
Tauchen dann hervor die Sterne,
Drängt es mächtig mich hinan,
Und in immer tiefre Ferne
Zieh ich helle Götterbahn.
Alt' und neue Jugendträume,
Zukunft und Vergangenheit,
Uferlose Himmelsräume
Sind mir stündlich hier bereit.
Darum, Freunde! will ich reisen;
Weiset Straße mir und Ziel!
In der Heimat stillen Kreisen
Schwärmt das Herz doch allzuviel.
Joseph von Eichendorff
Der frohe Wandersmann

Wem Gott will rechte Gunst erweisen, 
Den schickt er in die weite Welt; 
Dem will er seine Wunder weisen 
In Berg und Wald und Strom und Feld. 
 
Die Trägen, die zu Hause liegen, 
Erquicket nicht das Morgenrot, 
Sie wissen nur von Kinderwiegen, 
Von Sorgen, Last und Not um Brot. 
Die Bächlein von den Bergen springen, 
Die Lerchen schwirren hoch vor Lust, 
Was sollt ich nicht mit ihnen singen 
Aus voller Kehl und frischer Brust? 
 
Den lieben Gott laß ich nur walten; 
Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld 
Und Erd und Himmel will erhalten, 
Hat auch mein Sach aufs best bestellt!